Marion Gräfin Dönhoff – Rede zur Namensgebung

Liberal sein und weltoffen

Seit November 1999 trägt das Gymnasium Lahnstein den Namen von Gräfin Dönhoff als dritte Schule nach dem Gymnasium in Mikolajki und der Marion-Dönhoff-Realschule in Brühl-Ketsch/Baden. In der Begründung für die Namensgebung heißt es: „Marion Dönhoff hat sich stets in besonderer Weise der jüngeren Generation verbunden gefühlt und Sympathie gerade auch für die aufbegehrende Jugend aufgebracht. Dieses Zugeständnis endet jedoch stets dort, wo die Anwendung von Gewalt die intellektuelle Auseinandersetzung ablöst.“

Am 7. April 2000 wurde in Lahnstein die Namensgebung gefeiert.

„Es ist ein seltsames Gefühl, über dem Eingang einer Schule meinen Namen geschrieben zu sehen, und zwar nicht irgendeiner Schule, sondern einer, die sich der Zeitwende sehr bewusst ist und die Schüler auf das vorbereiten möchte, was uns erwartet.

Diese Schule steht für das Überwinden von Grenzen und für Verantwortung; sie kümmert sich um begabte Schüler, die als Aussiedler mit ihren Familien nach Deutschland gekommen sind; sie unterstützt konkrete Hilfsprogramme, beispielsweise Straßenkinder in Tansania, und hat eine Partnerschaft mit Burkina Faso.

Ich habe den größten Teil des Jahrhunderts, das jetzt hinter uns liegt, miterlebt. Es gab kein zweites, das so reich an Katastrophen war: zwei Weltkriege, Stalin, Hitler, der Holocaust, Hiroshima. Ihr werdet es besser haben, davon bin ich überzeugt.

Wir leben heute in einer Epoche unbegrenzter Freiheit im Rahmen des marktwirtschaftlichen Systems, in dem der Wettstreit darüber entscheidet, wer überlebt. Der Motor des Wettstreits ist aber der Egoismus, und darum ist für jedermann die Versuchung, fünf gerade sein zu lassen, sehr groß. Die Versuchung nämlich, es mit der Steuer, mit den Gesetzen, mit den Methoden gegenüber der Konkurrenz nicht so genau zu nehmen.

Wie wünsche ich mir denn in einer solchen Zeit die Schüler dieser Schule?

Ich würde mir wünschen, dass sie bereit sind, Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen, also nicht nur ans eigene Geldverdienen zu denken und zu meinen, für den Rest solle der Staat aufkommen.

Und ich hoffe, dass sie Toleranz ganz wichtig nehmen, denn nur wer tolerant ist, verfällt nicht in Arroganz und Überheblichkeit, sondern prüft des anderen Meinung, auch wenn er zunächst meint, die seine sei die einzig richtige.

Und ich hoffe, dass sie liberal sein werden und weltoffen. Der Bürger soll offen sein für Veränderungen, denn Geschichte ist ein Prozess und kein Zustand. Und er soll, was ihm fremd erscheint, nicht als Häresie verdammen. Wer Liberalität bewusst praktiziert, wird nicht dem Ideologen glauben, der sein System als Schlüssel zu Glück und Gerechtigkeit anpreist. Ich hoffe sehr, dass eine Kooperation – eine Art Brüderschaft – zwischen der Schule in Mikolajki und der Schule in Lahnstein zu Stande kommen wird. Euch und den Lehrern wünsche ich Freude an der Arbeit, Glück und Erfolg.“

Marion Dönhoff

Begründung der Namenswahl

Marion (Gräfin) Dönhoff ist aus verschiedenen Gründen als Namensgeberin für das Gymnasium Lahnstein besonders geeignet:

  • In ihrer Einstellung und ihrem persönlichen und beruflichen Werdegang hat sie immer wieder Grenzen verschiedenster Art überwunden und damit beispielhaft für Versöhnung und Vertrauen gewirkt.
  • Bewusst bzw. aus Einsicht verzichtete sie schon früh auf Standesprivilegien, die für ihre Familie als selbstverständlich galten.
  • Der politische Verzicht auf ihre Heimat Ostpreußen lag für sie als selbst Betroffene in der Akzeptanz historisch-politischer Realität. Es war für sie die einzige Möglichkeit, für die Zukunft staatliche Grenzen zu überwinden und die Nachbarn in Ost und West menschlich zu versöhnen und dauerhaft einander näher zu bringen.
  • Als Frau gelang es ihr eindrucksvoll mit Klugheit, Weitsicht und Disziplin in sogenannte Männerdomänen einzudringen und Dank dieser Tugenden zu allgemeiner Wertschätzung und Hochachtung im In- und Ausland zu gelangen.
  • Basierend auf Traditionen verkörperte Marion Dönhoff in politischen ebenso wie in gesellschaftlichen Fragen Fortschrittlichkeit, die Vergangenheit und die Zukunft sinnvoll miteinander verbindet.
  • Marion Dönhoff hat sich stets in besonderer Weise der jüngeren Generationen verbunden gefühlt und Sympathie gerade auch für die aufbegehrende Jugend aufgebracht. Dieses Verständnis endet jedoch stets dort, wo die Anwendung von Gewalt die intellektuelle Auseinandersetzung ablöst.
  • Durch ihre Tätigkeit und ihr mutiges Auftreten hat sich Marion Dönhoff höchste Anerkennung in Deutschland und in der Welt erworben und unschätzbare Dienste für das Bild unseres Landes im Ausland geleistet. Der Kreis ihrer zahlreichen Freunde (u.a. Carl Friedrich, Richard von Weizsäcker, Helmut Schmidt, Willy Brandt) legt von der ihr entgegengebrachten Wertschätzung ein beredtes Zeugnis ab.
  • Die Existenz eines „Lyzeum Marion Dönhoff“ in Polen sowie der „Marion-Dönhoff-Realschule“ in Brühl-Ketsch (Baden-Württemberg) dokumentiert auch im Bereich Schule die Anerkennung, die der Person und ihrem Wirken für Versöhnung insbesondere zwischen Polen und Deutschland entgegengebracht wird.
  • Mit Marion Dönhoff hätten Schüler, Lehrer und Eltern eine Persönlichkeit als Namensgeberin, die Aspekte von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbindet und dadurch in hervorragender Weise zur Identifikation geeignet erscheint.

Mitglieder der damaligen Arbeitsgruppe „Schulname“ :

Nina Hausen, Florian Hofmann, Anika Schäfer (ehem. Schülervertretung)

Wolfgang Heuper, Karl-Heinz Stein (ehem. Lehrervertreter)

Cornelia Krebs, Gabi Laschet-Einig, Alexander Mai (ehem. Elternvertreter)

Gerd Schumann (ehem. Schulleiter)